Hinter uns lagen die schmalen Gassen Salzburgs, das Echo von Mozarts Klavier noch in den Speichen unseres fliegenden Fahrrads. Unter uns glitt Passau vorüber – drei Flüsse ein Gedanke – Donau, Inn und Ilz.
Dann kam sie, wie ein langsamer Akkord in Dur: die Donau, silbern, weit, und an ihrem Ufer, fast schüchtern und doch unübersehbar, die Kaiserstadt Wien. Wir näherten uns der Hauptstadt nicht wie Eroberer, sondern wie Zuhörer. Denn Wien sprach – in Obertönen, im Dialekt der Vergangenheit, im rhythmischen Heben und Senken eines Walzertakts.
„Wien spricht nie direkt“, sagte mein Gefährte. „Es deutet an – mit einem Lächeln, das zwischen Melancholie und Spott schwankt.“
Schon aus der Ferne grüßten die Kuppeln und Türme: Stephansdom, Karlskirche, Secession. Die Stadt lag da wie ein aufgeschlagenes Notenbuch – zwischen Barock und Moderne, zwischen Praterträumen und Hofburgstrenge. Geschichte war hier nicht Vergangenheit, sondern Klang: ein Konzert aus Monarchie und Moderne, aus Glanz und Brüchigkeit.
Unser Gefährt senkte sich in weiten Bögen über die Ringstraße. Wir flogen über den Heldenplatz, über den Volksgarten mit seinen geordneten Rosen, und landeten schließlich auf dem Rathausplatz, gegenüber dem Burgtheater. Das Rad berührte kaum den Boden, als wir schon standen – zwischen gotischen Türmchen und der weißen Strenge des Burgschauspiels, als hätte uns die Stadt selbst eingeladen, Teil ihrer Inszenierung zu werden. Vor uns die steinerne Pracht des Rathauses – eine Mischung aus Märchen und Verwaltung.
Hinter uns das Theater, in dessen Sälen einst Grillparzer rang und Schnitzler sezierte. Dazwischen: Fiaker, Tauben, eine vorbeiziehende Schulklasse, die klang wie ein lebendiger Kontrapunkt.
Ein Straßenmusiker spielte ein zerbrechliches „An der schönen blauen Donau“, und zum ersten Mal verstand ich: Der Walzer ist kein Tanz. Es ist ein Kreisen um das, was nie stillsteht.
Wien war eine Stadt, die den Widerspruch kultivierte. Die höfische Strenge der Habsburger wohnte hier Tür an Tür mit dem verspielten Eigensinn des Jugendstils. Otto Wagner, Josef Hoffmann – sie hatten dem Stein das Schwungvolle beigebracht, dem Metall das Blühen. Fassaden waren hier keine Mauern, sondern Musikstücke.
„Hier ist selbst der Schmerz verziert“, flüsterte mein Gefährte, als wir vor dem Beethovenfries standen – eine ganze Wand voller innerem Kampf und goldener Linien.
Und in den Cafés – jene Wiener Mischung aus Zeitverlust, Ernsthaftigkeit und Schaumkrone. Ein Ort, an dem man das Denken bestellt wie einen Verlängerten. Der wahre Wiener Schmäh – so lernte ich – ist kein Witz, sondern ein Weltverständnis.
Eine feine Ironie gegen das Unerträgliche, ein Schulterzucken, das zugleich tröstet und warnt. Man lächelt hier über das Leben, weil man weiß, wie tragisch es ist. Der Tod – das muss ein Wiener sein.
„Wien hat nie vergessen, dass Schönheit allein nicht genügt“, sagte mein Gefährte. „Darum ist sie hier immer ein wenig traurig.“
Als wir uns wieder in die Lüfte erhoben, glitt die Stadt unter uns davon – wie ein Gedanke, den man nicht ganz fassen kann. Zwischen all den Türmchen, Kuppeln und Boulevards blieb ein Gefühl zurück: dass dies kein Ort war, sondern ein Zustand. Eine Stimmung. Ein leises, ewiges Zwinkern über der Donau.
Vor uns lagen der Neusiedler See und die ungarische Grenze. Die Hügel flachten ab, die Sprache wurde weicher, der Himmel weiter. Aber Wien blieb. Als Melodie. Als Schatten. Als süßer Schmerz in der Luft – verziert, vergoldet, ganz leise.